Positionspapier
01.09.2025

Glücksspielstaatsvertrag nachschärfen: Positionspapier für besseren Spielerschutz
1. Einleitung
Mit dem 2021 geschlossenen Glücksspielstaatsvertrag haben die Bundesländer das Ziel verfolgt, den Online-Glücksspielmarkt in Deutschland einheitlich zu regulieren und den Spielerschutz zu stärken. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass zentrale Schutzmechanismen durch Schlupflöcher, unzureichende Kontrollen und Umgehungsmöglichkeiten unterlaufen werden. Hinzu kommt, dass ein relevanter Teil des Glücksspielmarktes aus illegalen und vollkommen unregulierten Anbietern besteht.[1]
Die Folgen sind gravierend: In Deutschland leiden laut Glücksspielatlas rund 1,3 Millionen Menschen unter einer Glücksspielstörung, weitere drei Millionen zeigen ein problematisches Spielverhalten.[2]
Glücksspiel kann dabei nicht nur zu hohen finanziellen Verlusten und wirtschaftlichem Ruin führen – es beeinträchtigt auch die psychische Gesundheit, zerstört soziale Beziehungen, führt zu Arbeitsplatzverlusten und kann mit einem Anstieg von Kriminalität einhergehen. Studien zeigen zudem, dass das Risiko für Suizidalität und häusliche Gewalt unter glücksspielsüchtigen Personen deutlich erhöht ist. Besonders problematisch ist die ständige Verfügbarkeit von Online-Glücksspiel, die Suchttendenzen weiter verstärken kann.[3]
Vor diesem Hintergrund ist eine umfassende Nachschärfung des Glücksspielstaatsvertrags dringend erforderlich. Ziel muss es sein, die Schutzfunktion des Vertrags tatsächlich wirksam umzusetzen und insbesondere vulnerable Gruppen wie Kinder, Jugendliche und suchtgefährdete Menschen besser vor den Risiken des Glücksspiels zu schützen.
Eine politische Grundlage für Reformen liefert unter anderem das Regierungsprogramm von Bündnis 90/Die Grünen zur Bundestagswahl 2025. Dort heißt es:
„Den gesundheitsschädlichen Einfluss von Glücksspiel und süchtig machenden digitalen Angeboten – insbesondere auf Kinder und Jugendliche – möchten wir stärker in den Blick nehmen und wirksame Maßnahmen dagegen ergreifen.“ [4]
2. Illegales Glückspiel bekämpfen
Der illegale Glücksspielmarkt stellt die größte Herausforderung für den Spielerschutz, die staatliche Regulierung und die Integrität des Glücksspielwesens dar. Zwar ist das genaue Ausmaß des Schwarzmarkts schwer zu beziffern. Schätzungen der Glückspielindustrie zufolge liegt sein Anteil am gesamten Glücksspielmarkt in Deutschland zwischen 30 und 46 Prozent[5] – allein im Bereich der Geldspielgeräte ist etwa jedes dritte Gerät nicht zugelassen.[6]
Gleichzeitig ist ein Rückgang der legalen Spielstätten und Automatenzahlen zu beobachten. Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es keine hinreichenden Anzeichen für eine massive Abwanderung in den illegalen Bereich. Die Risiken, die von diesem Markt ausgehen, sind jedoch unstrittig.
Insbesondere im Online-Bereich existieren zahlreiche illegale Anbieter – sowohl im Bereich der Sportwetten als auch bei anderen Glücksspielarten wie dem Online-Poker oder virtuellen Automatenspiele –, die konsequent und wirksam bekämpft werden müssen. Illegale Anbieter agieren außerhalb jeglicher gesetzlichen Kontrolle: Sie bieten keine wirksamen Auszahlungs- oder Zeitlimits, ignorieren Sperrsysteme wie OASIS und gewährleisten keinen Jugendschutz. Sie leisten keinen Beitrag zur Suchtprävention, unterlaufen steuerliche Pflichten und werden teils mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht.
Um den Schwarzmarkt einzudämmen und die Wirksamkeit des staatlich regulierten Systems zu stärken, sind insbesondere folgende Maßnahmen notwendig:
Sowohl die Organisation als auch die Teilnahme an illegalem Glücksspiel ist weiterhin als Straftat (§§ 284 und 285 StGB) einzustufen. Eine Herabstufung als Ordnungswidrigkeit ist klar abzulehnen.
Es ist eine zielgenaue Nachschärfung im Strafrecht notwendig, um rechtssicher klarzustellen, dass sowohl Anbieten von als auch Teilnahme an in Deutschland nicht zugelassenen Glückspielangeboten strafbar ist.[7]
Payment-Blocking konsequent anwenden, um Zahlungsströme an illegale Anbieter zu unterbinden.
IP-Blocking im Glücksspielstaatsvertrag rechtlich ermöglichen und konsequent nutzen, um den Zugang zu illegalen Online-Angeboten zu erschweren.[8]
Kontroll- und Ermittlungsmöglichkeiten für die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL), Polizei, Zoll und Ordnungsbehörden ausbauen sowie behördenübergreifende Zusammenarbeit intensivieren.
GGL personell und technisch stärken, um wirksam gegen unlizenzierte Anbieter vorzugehen.
Schulungen für Polizei, Steuerbehörden, Staatsanwaltschaften und Richterschaft zu illegalen Spielstrukturen und neuen Erscheinungsformen wie „Fungames“ etablieren.
Prüfung der Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für illegales Glücksspiel.
Verbraucherfreundliche Weiterentwicklung und bessere Bewerbung der vorhandenen Meldestelle für Hinweise auf illegale Glücksspielangebote.
Stärkung des Sperrsystems OASIS: Lizenzentzug für Anbieter ohne Anbindung, verstärkte Prüfung durch die GGL voranbringen.
Erweiterung der Abfragebefugnisse für die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU), um Geldwäsche durch illegales Glücksspiel zu bekämpfen.
3. Spielerschutz stärken
a) Umgehung von Spielersperren verhindern
Mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 wurde das spielformübergreifendes Sperrsystem OASIS eingeführt, das eine wichtige Grundlage für den Schutz suchtgefährdeter Personen bildet. Sowohl Selbstsperren als auch Fremdsperren durch Angehörige oder Anbieter sind möglich. Die Sperrdauer beträgt grundsätzlich mindestens ein Jahr, kann jedoch im Falle der Selbstsperre auf Antrag der gesperrten Person auf drei Monate verkürzt werden.[9]
In der Praxis bestehen allerdings erhebliche Lücken bei der Umsetzung. So erhalten gesperrte Personen trotz aktiver Sperre Medienberichten zufolge trotz rechtlicher Untersagung weiterhin Werbung – insbesondere über digitale Kanäle. Dies stellt ein hohes Rückfallrisiko dar und untergräbt den präventiven Charakter der Sperre.[10]
Um die Schutzwirkung des Systems zu verbessern, sind gezielte Nachbesserungen erforderlich:
Eine Entsperrung vor Ablauf von zwölf Monaten sollte nur noch dann möglich sein, wenn die betroffene Person den Nachweis über die Teilnahme an einer suchtberatenden Maßnahme erbringt.
Einmal gesperrte Personen müssen von sämtlicher gezielter Glücksspielwerbung – vor allem im digitalen Raum – konsequent ausgeschlossen werden.
Das geltende Werbeverbot muss von den zuständigen Behörden wirksamer kontrolliert und durchgesetzt sowie die Strafen bei Verstößen angepasst werden.
Perspektivisch sollte das bestehende nationale Sperrsystem zu einer verpflichtenden, EU-weiten Sperrdatei ausgebaut werden, die einen Echtzeit-Abgleich bei allen Anbietern sicherstellt.
Bei mehrfacher Aktivierung einer 24-Stunden-Sperre innerhalb eines kurzen Zeitraums sollte automatisch eine längerfristige Sperre gemäß OASIS-System ausgelöst werden – etwa in Form einer regulären Selbstsperre mit Mindestlaufzeit. Alternativ sollte zumindest eine verpflichtende Kontaktaufnahme mit einer Suchtberatungsstelle empfohlen oder initiiert werden.
b) Klare Kennzeichnung legaler Angebote und Warnung vor illegalen Seiten
Für Nutzerinnen und Nutzer ist insbesondere bei Onlineangeboten oft nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob es sich bei einem Glücksspielangebot um einen legalen oder illegalen Anbieter handelt. Diese Intransparenz schwächt das Vertrauen in die Regulierung und erschwert eine informierte Entscheidung – insbesondere für unerfahrene oder gefährdete Spielerinnen und Spieler. Eine klarere Kennzeichnung und Aufklärung sind daher dringend erforderlich.
Daher sind folgende Maßnahmen erforderlich:
Verpflichtende, prominente Platzierung des offiziellen Gütesiegels der Gemeinsamen Glückspielbehörde der Länder für lizenzierte Anbieter – z. B. im Header der Website oder App mit dem Hinweis, dass die Teilnahme an nicht lizensierten Angeboten eine Straftat darstellt – damit Nutzerinnen und Nutzer direkt erkennen, dass es sich um ein legales und reguliertes Angebot handelt.
Prüfung der Einführung einer öffentlichen Blacklist illegaler Glücksspielseiten, um mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher zu schaffen und bewusste Entscheidungen zu ermöglichen.
b) Gezielte Werbung bei Risikogruppen unterbinden
Ein zentrales Problem im aktuellen Glücksspielsystem ist die gezielte Ansprache besonders gefährdeter Gruppen durch individualisierte Werbung. Anbieter nutzen algorithmische Auswertungen von Nutzerdaten, um Personen mit riskantem oder suchtnahem Spielverhalten gezielt zu adressieren – oft mit personalisierten Angeboten, Boni oder emotional aufgeladenen Botschaften. Dieses Vorgehen erhöht die Wahrscheinlichkeit von Rückfällen bei suchtgefährdeten Menschen und erschwert bestehende Heilungsverläufe erheblich.
Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang das kostenlose Glücksspiel – etwa in Form von Gratisspielen oder sogenannten „Free Spins“. Diese Angebote wirken wie ein niedrigschwelliger Einstieg und können bei ehemals abstinenten Personen einen Rückfall auslösen.
Um die Anreizmechanismen der Anbieter zu begrenzen und besonders gefährdete Zielgruppen zu schützen, sind folgende Reformen notwendig:
Verbot personalisierter Werbung für Glücksspielangebote, insbesondere auf Basis von Verhaltensdaten oder Risikoprofilen.
Verbot kostenloser Lockvogel-Spielangebote (z. B. Gratisspiele, Free Spins), da sie als Einstieg oder Reaktivierung dienen können.
Unabhängige Kontrolle der Werbealgorithmen, um sicherzustellen, dass keine systematische Ansprache vulnerabler Gruppen erfolgt.
c) Einzahlungslimit wirksam machen
Ein zentrales Instrument zur Begrenzung von Glücksspielsucht ist das monatliche Einzahlungslimit. Der Glücksspielstaatsvertrag sieht derzeit ein Limit von 1.000 Euro pro Person und Monat für Online-Angebote vor. Dieses Limit ist jedoch in mehrfacher Hinsicht reformbedürftig: Es gilt ausschließlich im Online-Bereich und lässt sich auf Antrag auf bis zu 30.000 Euro erhöhen. Für das Glücksspiel in Spielhallen oder bei stationären Wettanbietern gibt es bislang keinerlei einheitliche Begrenzung.
Dabei zeigen Studien, dass feste finanzielle Grenzen dazu beitragen können, sowohl die Häufigkeit als auch das Ausmaß von Glücksspieltätigkeit zu reduzieren.[11]
Um die präventive Wirkung des Limits tatsächlich entfalten zu können, sind umfassende Reformen notwendig:
Einführung einer spielerbezogenen Identifikationskarte, die verpflichtend für sämtliche Glücksspiele – online wie offline – verwendet werden muss. Dies ermöglicht eine zentrale Erfassung und Begrenzung von Einsätzen.
Reduzierung des monatlichen Einzahlungslimits, orientiert an aktuellen wissenschaftlichen Empfehlungen für risikoarmes Glücksspiel.
Verbot der Limiterhöhung, auch bei positiver Bonitätsprüfung – zum Schutz vor exzessivem Spielverhalten unabhängig von finanzieller Lage.
Einführung individueller Tageslimits, um impulsives Spiel und kurzfristige Verlustphasen zusätzlich zu begrenzen.
Vorantreiben eines EU-weiten Einzahlungslimits, um einheitliche Schutzstandards auch im grenzüberschreitenden Online-Glücksspiel zu etablieren.
d) Umgang mit Werbung[12]
Werbung für Glücksspielangebote spielt eine zentrale Rolle bei der Normalisierung und Verharmlosung des Spielens – insbesondere gegenüber jungen und vulnerablen Zielgruppen. Studien zeigen, dass Glücksspielwerbung nicht nur die Teilnahmebereitschaft erhöht, sondern auch zur Entwicklung oder Verschärfung problematischen Spielverhaltens beitragen kann. Ein besonderes Risiko stellt Werbung im öffentlichen Raum und im Sport dar – vor allem Sportwetten-Werbung erzeugt durch Betonung der eigenen Expertise eine Kontrollillusion. Tatsächlich handelt es sich um reines Glücksspiel mit hohem Suchtpotenzial.[13]
Andere europäische Länder haben bereits deutlich strengere Regelungen oder Werbeverbote erlassen. Deutschland hinkt hier hinterher.[14] Um die besonders gefährdeten Gruppen besser zu schützen, sind folgende Reformmaßnahmen umzusetzen:
Verbot gezielter Werbung an gesperrte und suchtkranke Personen.
Streichung der Ausnahmeregelung für Dachmarkenwerbung von Sportwettenanbietern auf Trikots und Banden in Sportstätten.
Ausweitung des bestehenden Werbeverbots zu bestimmten Uhrzeiten zum Schutz Minderjähriger von Online-Glücksspiel auf Sportwetten.
e) Umgang mit Lootboxen und Glückspiel-Streams
Auch abseits klassischer Glücksspielangebote werden Kinder und Jugendliche zunehmend mit Mechanismen konfrontiert, die starke Parallelen zum Glücksspiel aufweisen – etwa durch sogenannte Lootboxen in Videospielen. Dabei ziehen Nutzerinnen und Nutzer zufallsbasierte Belohnungen – entweder selbst oder passiv über Videos und Livestreams, in denen Influencerinnen und Influencer diese Inhalte vorführen. Dieses Prinzip ähnelt dem Glücksspiel in hohem Maße und kann gerade bei jungen Menschen eine gefährliche Gewöhnung an Suchtdynamiken fördern. In einigen europäischen Ländern sind Lootboxen in bestimmten Spielen bereits verboten oder stark reguliert.
Ein weiteres Risiko geht von Live-Streams auf Plattformen wie Twitch oder YouTube aus. Hier können Zuschauerinnen und Zuschauer in Echtzeit verfolgen, wie Streamerinnen und Streamer an Glücksspielen teilnehmen – oft unkritisch inszeniert und für ein überwiegend junges Publikum zugänglich. [15]
Regulierungsbedarf und Prüfmaßnahmen:
Umgang mit Glücksspiel-Streams prüfen, insbesondere auf Plattformen mit hohem Jugendanteil wie Twitch oder YouTube.
Verbot oder Regulierung von Glücksspielmechanismen (z. B. Lootboxen) in Spielen wie EA Sports FC, insbesondere wenn sie sich an Minderjährige richten.
Transparenzpflichten und Kennzeichnung von Inhalten mit glücksspielähnlichen Elementen in Games und Streams.
Jugendschutzkonforme Altersfreigaben, die Glücksspielmechanismen in Spielen berücksichtigen.
f) Kriterien der Zuverlässigkeit klarstellen
Die ersten Erfahrungen aus der Legalisierung des Online-Glückspiels offenbaren Lücken in der staatlichen Aufsichtsstruktur. Erlaubnisinhaber mit Sitz im EU-Ausland, die sich bisher erfolgreich der Vollstreckung deutscher Gerichtsurteile entziehen, haben von Seiten der Gemeinsamen Glückspielbehörde der Länder (GGL) aktuell keine glücksspielrechtlichen Konsequenzen zu fürchten. Dies steht im Widerspruch zum Spielerschutz und unterminiert das staatliche Aufsichtsregime.
Deshalb sind folgende Maßnahmen notwendig:
Die Kriterien für die Zuverlässigkeitsprüfung sind dahingehend zu ergänzen, dass die systematische Nichtanerkennung von rechtskräftigen Entscheidungen deutscher Gerichte als Indikator für die Unzuverlässigkeit gewertet wird.
Anbieter, die sich wiederholt der Vollstreckung berechtigter Zahlungsansprüche von Spielern entziehen, müssen unverzüglich einer Neubewertung hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit unterzogen werden.
4. Sportwettenspezifische Aspekte (insbesondere Amateursport)
Ein besonders sensibler Bereich im Zusammenhang mit Glücksspiel ist der Sport – insbesondere der Amateursport. Hier besteht ein erhöhtes Risiko für Wettbetrug und Spielmanipulation, da Kontrollstrukturen und Ressourcen zur Prävention häufig unzureichend sind. Spielerinnen und Spieler, Trainerinnen und Trainer oder Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter erhalten oft keine oder nur geringe Vergütung, wodurch sie anfälliger für versuchte Einflussnahme werden.
Zwar ist das Wetten auf Amateursport nach § 21 des Glücksspielstaatsvertrags grundsätzlich untersagt. In der Praxis werden jedoch über ausländische, teils unregulierte Wettanbieter weiterhin internetbasierte Wetten auf Amateurspiele angeboten – häufig ohne jegliche Aufsicht oder Rückgriffmöglichkeiten für deutsche Behörden. Dies untergräbt nicht nur die Integrität des Sports, sondern schafft auch einen kaum kontrollierbaren Graubereich.[16]
Um die Integrität des Sports zu sichern und Manipulation effektiv vorzubeugen, können folgende Maßnahmen beitragen:
Stärkere Zusammenarbeit mit Sportverbänden und Sportvereinen zur Entwicklung einheitlicher Präventionsstandards und Bildungsangebote für Funktionsträgerinnen und Funktionsträger.
Etablierung einer zentralen Meldestelle für auffällige Vorkommnisse im Sportumfeld – auch niedrigschwellig zugänglich für ehrenamtlich Aktive.
Engere Kooperation zwischen Justiz- und Sicherheitsbehörden, um Informationen über Verdachtsfälle, Wettanbieter und potenzielle Einflussnahmen gezielt auszutauschen und frühzeitig eingreifen zu können.
5. Gegenargument: „Einschränkung fördert illegales Glücksspiel“
Ein häufig vorgebrachtes Argument gegen strengere Regulierungen im Glücksspielbereich lautet, dass zu viele Einschränkungen lediglich dazu führten, dass Spielerinnen und Spieler auf illegale oder unregulierte Angebote ausweichen. Dieses Narrativ wird besonders von Teilen der Glücksspielindustrie vertreten – empirisch lässt es sich jedoch bislang nicht belegen.
Die wissenschaftliche Evidenz spricht vielmehr für das Gegenteil:
Es gibt keine belastbaren empirischen Belege dafür, dass strengere Regulierungen automatisch zu einer Verlagerung in den illegalen Markt führen.
Verfügbarkeitsreduktion – etwa durch Einschränkungen bei Werbung oder Zugänglichkeit – wirkt nachweislich präventiv und trägt zur Reduktion problematischen Spielverhaltens bei.[17]
Auch Einschränkungen wie Einzahlungslimits zeigen positive Effekte, etwa auf die Spielhäufigkeit und -dauer.[18]
Die oft als Argument genannte Vorstellung eines „natürlichen Spieltriebs“ des Menschen ist wissenschaftlich umstritten und bietet keine tragfähige Grundlage für die Ablehnung regulierender Maßnahmen.[19]
Auch das häufig genutzte Argument, Werbung würde lediglich bereits aktive Glücksspielende zu legalen Angeboten lenken, ist empirisch nicht haltbar: Studien zeigen vielmehr, dass Werbung eine große Rolle dabei spielt, neue Personen erstmals zum Glücksspiel zu bringen.[20]
Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass der illegale Glücksspielmarkt nicht einfach hingenommen werden muss, sondern durch gezielte Maßnahmen wirksam bekämpft werden kann – wie Kapitel 2 dargelegt. Durch Instrumente wie Payment-Blocking, IP-Sperren, die bessere Ausstattung der Vollzugsbehörden und die Stärkung der GGL lässt sich der illegale Markt deutlich eindämmen, ohne deshalb auf effektive Regulierung im legalen Bereich verzichten zu müssen.
6. Evaluierungsabstände
Der Glücksspielstaatsvertrag sieht laut § 32 derzeit vor, dass nach der ersten Evaluation zum 31. Dezember 2026 eine Überprüfung nur alle fünf Jahre erfolgt. Angesichts der dynamischen Entwicklungen im Glücksspielsektor – insbesondere im Online-Bereich – ist dieser Rhythmus deutlich zu lang.
Um regulatorisch flexibel und wirkungsvoll auf neue Trends, Schlupflöcher und Technologien reagieren zu können setzen wir uns dafür ein, den Evaluierungszyklus auf einen dreijährigen Rhythmus zu verkürzen.
Unterzeichner*innen des Positionspapieres:
Simon Rock MdL, Sprecher für Haushalt und Finanzen, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nordrhein-Westfalen
Tim Pargent MdL, Finanzpolitischer Sprecher, Stellvertretender Parlamentarischer Geschäftsführer und Stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern
Norbert Knopf MdL, Sprecher für Gesundheitswirtschaft und Hochschulmedizin, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg
Christoph Höh MdL, Mitglied des Ausschusses für Ernährung, Ländlicher Raum und Verbraucherschutz, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg
Dr. Andreas Hoffmann MdL, Haushaltspolitischer Sprecher, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen
Carl-Bernhard von Heusinger MdL, Parlamentarischer Geschäftsführer, Sprecher für Innen- und Justizpolitik, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz
Daniel Köbler MdL, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Sprecher für Soziales und Finanzen, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz
Valentin Lippmann MdL, Parlamentarischer Geschäftsführer und stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Sprecher für Innenpolitik, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen
Tonka Wojahn MdA, Sprecherin für Verbraucherschutz und Haushaltspolitik, Abgeordnetenhausfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin
Jasper Balke MdL, Sprecher für Gesundheitspolitik, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schleswig-Holstein
Oliver Brandt MdL, Sprecher für Haushalt und Finanzen, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schleswig-Holstein
Sebastian Striegel MdL, Innenpolitischer Sprecher, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt
Harald Terpe MdL, Sprecher für Finanzen, Haushalt und Steuern sowie Gesundheit und Pflege, Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern
Linda Heitmann MdB, Mitglied des Ausschusses für Gesundheit, Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Quellen:
[1] Zum 31.12.2023 verfügten 143 Veranstalter von Glücksspielen über eine Erlaubnis. Demgegenüber stehen 205 Veranstalter ohne Erlaubnis. (GGL Tätigkeitsbericht 2023, S. 26; 66)
[2] https://gluecksspielatlas2023.isd-hamburg.de/dl/Gluecksspielatlas_2023.pdf S. 70
[3] https://www.thelancet.com/pdfs/journals/lanpub/PIIS2468-2667(24)00167-1.pdf
[4] https://cms.gruene.de/uploads/assets/Regierungsprogramm_DIGITAL_DINA5.pdf S.96
[5] https://www.vdai.de/wp-content/uploads/2023/04/Entwicklung_der_Kanalisierungsquote_des_gewerblichen_Automatenspiels_in_Deutschland_Langfassung.pdf S. 34
[6] https://gluecksspielatlas2023.isd-hamburg.de/dl/Gluecksspielatlas_2023.pdf S. 7
[7] OLG Bamberg, Urteil v. 27.02.2024 – 10 U 22/23 e, Rn. 56
[8] IP-Blockings sind national geregelt, obwohl sie auch im Zusammenhang mit dem Digital Service Act umgesetzt werden können. Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung können Netzsperren auf Grundlage des GlüStV nicht angewandt werden. Dies muss durch eine Anpassung der Ermächtigungsgrundlage schnellstmöglich geändert werden.
[9] https://gluecksspielatlas2023.isd-hamburg.de/dl/Gluecksspielatlas_2023.pdf S. 90
[10] https://www.deutschlandfunkkultur.de/sportwetten-sponsoring-spielsucht-100.html
[11] https://gluecksspielatlas2023.isd-hamburg.de/dl/Gluecksspielatlas_2023.pdf S.96
[12] Zu diesem Absatz gab es unter den Unterzeichnenden eine lebhafte Diskussion mit mehreren kontroversen Abstimmungen. Teile der Unterzeichnenden dieses Papiers sind dabei der Auffassung, dass eine Regelung, die Werbung für Online-Glücksspiel und Sportwetten komplett untersagt, der politisch zielführendste Weg wäre. Diese Auffassung hat sich nicht als Mehrheitsmeinung durchgesetzt, soll hiermit aber einmal transparent gemacht werden.
[13] https://gluecksspielatlas2023.isd-hamburg.de/dl/Gluecksspielatlas_2023.pdf S. 74f
[14] https://gluecksspielatlas2023.isd-hamburg.de/dl/Gluecksspielatlas_2023.pdf S.124
[15] https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/sucht/macht-gluecksspiel-im-livestream-suechtig/
[16] https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/sportwetten-amateurfussball-100.html
[17] https://gluecksspielatlas2023.isd-hamburg.de/dl/Gluecksspielatlas_2023.pdf S. 88
[18] https://gluecksspielatlas2023.isd-hamburg.de/dl/Gluecksspielatlas_2023.pdf S. 96
[19] https://gluecksspielatlas2023.isd-hamburg.de/dl/Gluecksspielatlas_2023.pdf S. 40
[20] https://www.isd-hamburg.de/wp-content/uploads/2022/01/BZgA_Bericht_final.pdf S.42